Kriegsende in Neuberg

Aktualisierung:

Aus den Tagebuch des Wilhelm Wagner

Ascher Rundbrief 1950

12. 4. 1945 - Von Asch kommt die Nachricht, daß die Stadt von Tieffliegern beschossen wurde.

13. 4. - Nachts marschieren deutsche Truppen ununterbrochen mit Panzern und Geschützen durch Neuberg gegen Asch. Wir nehmen an, daß nunmehr die vorrückenden Amerikaner, die sich im Fichtelgebirge befinden, zum Kampf gestellt werden. In den folgenden Nächten kommen aber die Truppen alle wieder zurück und marschieren ohne Aufenthalt gegen Bad Elster.

15. 4. - Über Asch wurden Bomben abgeworfen.

16. 4. - Tiefflieger knapp über den Dächern von Neuberg. Kein Beschuß.

18. 4. - Deutsche Einheiten, die im Orte lagen, rücken ab, sodaß nun Neuberg unbesetzt ist.

20. 4. Hitlers Geburtstag. Ich beobachte die ersten rückkehrenden Schwalben. Gegen Mittag kommt Nachricht: Amerikanische Panzer stehen bei Pulvermüller (Jaegers Färberei), sie kamen von Roßbach her. Werden sie gegen Asch oder Neuberg vorstoßen? Bald bringen die Leute Nachricht, daß sie nach Asch fuhren.
Um 21 Uhr erlosch das elektrische Licht, wir saßen im Dunkeln. Die Starkstromleitung über Wernersreuth-Niederreuth-Neuberg war durchschossen.

21. 4. - Neuberg wird von einer kleinen Abteilung Amerikaner mit einem Geschütz besetzt. Vorerst nur das Bürgermeisteramt, wo alles durchsucht wurde. Da weiteres Arbeiten nicht möglich war, begab sich der Bürgermeister in seine Wohnung. Dorthin kam am

22. 4. ein Amerikaner und verlangte, daß bis morgen früh 8 Uhr an jedem Hause eine weiße Fahne sein müsse, andernfalls werde der Ort beschossen. Da kein deutscher Soldat im Orte war, wurde beschlossen, Neuberg zu übergeben. Sofort wurde bekannt gemacht, daß bis 23. April früh 8 Uhr aus allen Häusern eine weiße Fahne herausgehängt wird, was auch pünktlich befolgt wurde. Die Amerikaner haben das mitgebrachte Geschütz im Garten beim Bürgermeisteramt aufgestellt und beschießen damit dauernd die gegenüberliegende Hain, wo sich einzelne deutsche Soldaten aufhalten.

23. 4. - Weiße Tücher an allen Häusern. In den Vormittagsstunden kommen Amerikaner mit schwerem Maschinengewehr bis zum Hause Kaufmann Brenner und beschießen die Hain. Die Häuser wurden durchsucht. Waffen, Fotoapparate und Ferngläser mußten abgeliefert werden. Gewehre wurden gleich am Randstein zerschlagen. Von den Fotoapparaten und Gläsern suchte sich jeder Soldat aus, was ihm gefiel und steckte es zu sich. Ein Haufen zerschlagener Gewehre blieb liegen. Später fuhren die Amerikaner bis zum Adlerschen Wohnhaus, wo sie sich einquartierten. Auch in den Häusern, die gute Sicht in die Hain und den Elm bieten, liegen Posten.

24. 4. - In der Nacht zum heutigen Tage kam von Niederreuth her ein deutscher Soldat auf einem Motorrad mit einer Panzerfaust. Er sollte eine Meldung von Wernersreuth nach Grün bringen. Ohne Kenntnis davon, daß das Adlersche Wohnhaus besetzt war, fuhr er daran vorbei, wurde vom Fenster aus niedergeschossen und war sofort tot. Heute schlich sich ein deutscher Soldat vom Elm her an das Haus heran, wurde aber ebenfalls bemerkt und erschossen (Töpfers Elmwiese). In der Nacht hatte es einen lauten Krach gegeben, dann blieb alles ruhig. Am Morgen wurde festgestellt, daß ein Explosionskörper von der Hain herabgeschleudert worden sein mußte, der im Garten Brenner barst und am Bareuther-Hause durch Splitter die Haustüre und einige Fenster durchschlug. Auch am Hause Wagner daneben fanden sich Spuren. Das Licht brennt wieder.

25. 4. - Im Ort ist Ruhe.

26. 4. - Ein schöner Frühlingstag wird plötzlich durch einschlagende Granaten gestört. Ein Blindgänger traf die Schindlermühle. Eine Granate schlug in das danebenliegende Haus des Bauern Uhl, durchschlug das Dach und fiel durch ein Fenster vor das Haus, wo sie explodierte und einem Flüchtlingsjungen, der dort Holz hackte, einen Fuß abschlug. Der Junge wurde von amerikanischen Sanitätern verbunden und nach Asch ins Krankenhaus gebracht, wo er starb. Wie sich herausstellte, kamen diese Geschosse von einem deutschen Geschütz, das auf dem Wachtberg bei Grün stand und die Aufgabe hatte, das amerikanische Geschütz beim Neuberger Gemeindeamt zu vernichten.
— Ein schwerer amerik. Panzer mit anmontierter Walze und Pflugschar fuhr auf die ebenen Felder oberhalb des Elm, wo ein Feldflugplatz zurechtgemacht wird.

27. 4. - Gegen Mittag fuhren zwischen den Häusern Brenner, Wagner, Müller (Merz) und Bareuther mehrere leichte, motorisierte Geschütze auf und begannen eine tolle Schießerei zwischen den Häusern hindurch nach dem Oberteiler Park und Elm, wo einige deutsche Soldaten gesichtet worden waren. Einer davon fiel im Elm dem Feuer zum Opfer. Der Luftdruck ließ sämtliche Fensterscheiben unseres Hauses in Scherben gehen. Ein Geschütz mit etwa 8 cm Kaliber schoss in Richtung Grün, wahrscheinlich um das auf dem Wachtberg stehende deutsche Geschütz zum Schweigen zu bringen. Dabei wurde auch der Adler’sche Fabrik-Schornstein an der Krone durchgeschossen.
Das Feuergefecht währte etwa eine Stunde, dann fuhren die Geschütze sofort wieder zurück, rückten also nicht gegen Grün vor. Wenig später zog ein schweres Unwetter herauf mit einem Hagelschlag, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Granathülsen, Hagelkörner und die zerschlagenen Gewehre lagen in wüstem Durcheinander, als die Sonne wieder durchkam und die Trümmer beschien.

28. 4. - Wieder Granatbeschuß aus Richtung Grün, doch war die Reichweite nicht mehr bis zur Schindlermühle. Das Geschütz scheint nach seiner gestrigen Beschießung durch die Amis die Stellung gewechselt zu haben. Die Granaten schlugen hauptsächlich beim Adler’schen Wohnhaus, im Elm und auf dem Flugplatz ein. Auf der Straße wurde ein Neuberger Mädchen (Wagner) verwundet. Amerikanische Sanitäter nahmen sich seiner an. Ich war jeden Augenblick auf einen Einschlag ins Haus gefaßt, doch trat alsbald wieder Ruhe ein.

29. 4. - Erster Sonntag ohne Fleisch.

30. 4. - Es sind zwei kleine Feldflugzeuge am Flugplatz eingetroffen.

1. 5. - Amerikanische Infanterie zog durch Neuberg, glücklicherweise ohne Quartier zu nehmen. Sie besetzte die Adler’sche Fabrik, durchkämmte Krugsreuth und Grün nach deutschen Soldaten und zog weiter nach Bad Elster. In der Gegend Ölsnitz-Adorf liegt eine deutsche Abteilung und leistet dort Wiederstand. Die amerikanische Infanterie setzt sich aus Weißen und Schwarzen zusammen. Große, schwere Geschütze treffen ein und gehen in Stellung. Eine Batterie im Wiesental bei der Neumühle, die andere hinter der Künzel’schen Fabrik und bei der Teichmühle.

2. 5. - Der Rundfunk brachte die Nachricht von Hitlers Tod.

3. 5. - Bei Anbruch der Dunkelheit begannen die Geschütze zu feuern. Das Schießen dauerte ohne Unterbrechung bis Tagesanbruch, Die Erde zitterte und die Geschoße heulten über den Ort in Richtung gegen Adorf, In der nächsten Nacht ging es in der gleichen Weise weiter. Die Deutschen hatten anscheinend keine schwere Artillerie mehr, da kein Gegenbeschuß erfolgte. Sonst wäre Neuberg vielleicht zum Trümmerhaufen geworden.

5. 5. - Radio meldet die deutsche Kapitulation. Die amerikanischen Geschütze und die Flugzeuge verlassen Neuberg. Zurück bleiben eine kleine Besatzung und die von der Artillerie gelegten Leitungen. Außen den beiden bereits erwähnten drei deutschen Soldaten wurden an der Kreuzung Trempelweg-Oberteiler Weg noch zwei weitere Soldaten erschossen, als sie sich dem Dorf näherten. Alle fünf Todesopfer wurden auf dem Neuberger Friedhof im Beisein des Bürgermeisters beerdigt. Ihre Einsegnung nahm einige Tage später ein Ascher Pfarrer vor. Die Angehörigen konnten nicht verständigt werden. Auf amerikanischer Seite gab es bei den Kämpfen in Neuberg einen Schwerverwundeten. Nun ist der Kriegslärm verstummt, die Arbeit geht, soweit Material vorhanden, langsam weiter. Der Ortsgruppenleiter wird von den Amerikanern ins Amtsgerichtsgefängnis nach Asch gebracht. Der Bürgermeister bleibt im Amte, ebenso seine Sekretärin. Um die herumliegenden Leitungskabel kümmern sich die Ami nicht. Manches Stück verschwindet und erscheint bald als kupferleuchtende Antenne über den Dächern. Langsam tauchen verschiedene Sorgen auf. Die Vorräte gehen zur Neige, die Lebensmittel werden knapp. Auch die bange Frage erhebt sich: Werden die Ami dableiben oder kommen die Tschechen wieder? Man spricht viel vom Bäderdreieck, das die Ami nie aufgeben würden. Auch die amerikanischen Soldaten selbst, soweit sie mit den Einwohnern sprechen, meinen, daß sie einmal besetztes Land nicht wieder preisgeben werden. Der Rundfunk schweigt sich darüber aus, die Meinungen gehen hin und her. Aus den tschechischen Gebieten dringen Nachrichten von furchtbaren Greueltaten, die an deutschen Soldaten, vor allem an Verwundeten in den Lazaretten, und an deutschen Zivilisten verübt wurden.

25. 5. - Amerikanische Truppen sind über Nacht abgezogen. Die Kabelleitungen ließen sie liegen. Ukrainer, die auf Gut Sorg arbeiteten, schlachten dort das Vieh ab und feiern Orgien. Andere zogen zu den alleinstehenden Höfen und Häusern und bedrohten diese Leute. Dies machten sie auch schon, als die Amerikaner noch da waren.

Amerikanischer Soldat beim Ortsschild

Ein amerikanischer Soldat beim Ortsschild im April 1945

Anfang Juni - Eine Abteilung Tschechen in ganz neuen Uniformen traf ein. Die Leute tragen rote Abzeichen und Schlipse. Der Bürgermeister, den sie auch als solchen ansprachen, wies ihnen das Gasthaus „Paradies” als Quartier an. Sie betragen sich sehr anständig und sind höflich. Drei Tage später: Die Slowaken sind von Tschechen abgelöst. Diese tragen alle möglichen alte deutsche Uniformen. Wir hielten sie zunächst für deutsche Soldaten. Beim Einzug begannen sie aber tschechisch zu singen. Wieder zwei Tage später: Junge tschechische Gendarmen und Grenzwächter sind eingetroffen. Ein älterer Gendarm setzte sich im Bürgermeisteramt als „Kommissar” fest. Der Bürgermeister darf nur noch nach dessen Weisungen amtieren. Der Kommissar war zu ihm sehr kurz angebunden, bequemte sich dann aber doch dazu, deutsch mit ihm zu sprechen. Eine geborene Tschechin holte er sich als Sekretärin, ein Steinpöhler Kommunist wurde Gemeindediener. Ein Postmeister, zwei Briefträger und einige tschechische Zivilisten kamen auch mit, warfen aus den besten neuen Häusern die Inwohner hinaus und setzten sich in die freigemachten Wohnungen.

9. 7. - Der Bürgermeister wurde beim Kommissar ob der Unzukömmlichkeit vorstellig, daß die Finanzer bei Riedel essen, ohne zu zahlen. Der Kommissar fauchte ihn daraufhin an und enthob ihn seines Amtes. Um diese Zeit verfinsterte sich eben der Himmel, obwohl keine Wolke an ihm stand. Dadurch wurde alles etwas nervös. Wir waren so sehr von der Außenwelt und jedem Nachrichtendienst abgeschnitten, daß wir von der totalen Sonnenfinsternis dieses Tages völlig überrascht wurden.

Die folgenden Wochen und Monate vergingen wie überall in nervenzermürbender Spannung. In Neuberg selbst verübten die Tschechen keine ausgesprochenen Greueltaten. Sie nahmen eine Reihe von Verhaftungen vor, deren Opfer nach Asch zum „Tell” gebracht wurden. Frauen wurden zur Erntearbeit nach Gut Sorg befohlen, wo die Wachposten sie mit Gewehren antrieben und sie gemein beschimpften.

15. 10. - Der Bürgermeister wurde heute im Auftrag der Ascher Behörde verhaftet und nach dem „Tell” gebracht, später nach Tschemoschna. Ein „Deutscher” hatte in Asch angezeigt, daß der „alte” Bürgermeister von Neuberg noch frei sei. Wir haben schon lange Lebensmittelkarten mit dem Aufdruck „Deutscher”. Die Rationen sind uns nicht mehr bekannt, wir wissen nur, daß sie sehr knapp sind. Salz fehlte lange Zeit gänzlich. Pilze gab es massenhaft, Rübenblätter ebenfalls. Viele Familien lebten wochenlang fast ausschließlich davon. Zunächst mußten wir Deutschen gelbe, dann weiße Armbinden tragen. Auch die früheren Sozialdemokraten beschwerten sich vergebens dagegen. Radioapparate, Briefmarkensammlungen, Gold- und Silberwaren, Motorräder, Autos, Sportartikel und alle anderen sonstigen Wertsachen mußten sofort nach Ankunft der Tschechen abgeliefert werden. Auf gestohlenen Motorrädern erschlugen sich ein Briefträger und Finanzer, ein Gendarm brach ein Bein, ein zweiter verunglückte ebenfalls schwer.

Im ersten Vierteljahr 1946 begannen die Ausweisungen.